Ana Vaz &

Apiyemiyekî?

Apiyemiyekî? erzählt die Geschichte der Gräueltaten, die das indigene Volk der Waimiri-Atroari (Amazonas und Roraima, Brasilien) als Folge der gewaltsamen Besitznahme während der zivilen und militärischen Diktatur in Brasilien (1964-1985) erlitten hat. Das Werk legt besonderes Gewicht auf die Bedeutung der Erinnerung an die grausamen und oft verborgenen Kapitel der Geschichte. Es versucht, ein kollektives Gedächtnis wiederherzustellen, indem es die Zeichnungen zugrunde legt, die von den Waimiri-Atroari während des ›Alphabetisierungsprozesses‹ unter der Leitung des brasilianischen Pädagogen und militanten Aktivisten für die Rechte der Indigenen, Egydio Schwade, in den Jahren 1985-1986 angefertigt wurden. Das Zeichnen, das tief verwurzelt ist in Paulo Freires äußerst einflussreicher radikaler Pädagogik, wurde gewählt, um einen gleichberechtigten Austausch von Wissen zu fördern und die Grenzen der verbalen Sprache und der Übersetzbarkeit zu überschreiten.
Der Film enthüllt indirekt das Aufeinanderprallen zweier gegensätzlicher Weltanschauungen: einerseits das überlieferte Wissen der Waimiri-Atroari, ihre Beziehung zur natürlichen Umwelt, die auf einem tiefen Verständnis der wechselseitigen Abhängigkeit der Lebewesen beruht, und andererseits die von den Invasoren verfolgte ›Nekropolitik‹ (Achille Mbembe), ihre durch Waffen gestützte Expansion und ihr Massaker mit dem Ziel, das Land seinen Bewohner*innen wegzunehmen, um die Profite von Privatunternehmen zu steigern. Die häufigste Frage, die die Waimiri-Atroari den Pädagog*innen stellten, lautete »Warum haben Kamña (die Zivilisierten) Kiña (Waimiri-Atroari) getötet? Apiyemiyekî? (Warum?)«.
Mehrere Theoretiker*innen der Dekolonialisierung haben darauf hingewiesen, dass wir, wenn wir die ›Apokalypse‹ mit dem gegenwärtigen sozialen, politischen und ökologischen Zusammenbruch vergleichen, gewöhnlich dazu neigen zu vergessen, dass für einige die Welt seit über fünfhundert Jahren untergeht. Seitdem sind die indigenen Völker in Brasilien (wie auch anderswo) ständigen Angriffen und Diskriminierungen durch Regierungen und Zivilist*innen ausgesetzt, die eine räuberische Wirtschaftspolitik verfolgen, von der nur einige wenige profitieren. Apiyemiyekî? betont, wie wichtig es ist, ein kollektives visuelles Gedächtnis zu bewahren, das ein transgenerationelles Trauma dokumentiert, und die Ereignisse aufzuzeichnen, die von der vorherrschenden Geschichte verdeckt wurden: Dies ist ein notwendiger Akt, um der kollektiven Amnesie entgegenzuwirken und eine andere Zukunft zu schmieden. (Vanina Saracino)

Abbildungen: Ana Vaz, Apiyemiyekî?, 2019 © Ana Vaz

Über die Künstlerin

Ana Vaz * 1986 in Brasília, BRA, lebt und arbeitet in Paris, FRA. Studium an der RMIT University, Melbourne, AUS, und am Le Fresnoy – Studio National des Arts Contemporains, Tourcoing, FRA
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Über das Werk

Länge 00:27:23
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