Gernot Wieland &
In zwölf Minuten erzählt der österreichische Künstler Gernot Wieland eine tiefsinnige und aberwitzige Geschichte über die Sehnsucht nach individueller Freiheit und über kollektiven Anpassungszwang. Mit tragikomischen Kindheitserinnerungen und Reflexionen über das Leben als eine kafkaeske Kurzgeschichte sowie kindhaften Bleistiftzeichnungen, Plastilin-Figuren, metaphorischen Super-8-Filmaufnahmen von Treppenaufstiegen und rätselhaften, aus Holzstäben gebildeten Kristall-Objekten zieht uns Wieland in den Bann. Fakten treffen auf Fiktion, dynamische Erzählung trifft auf poetische Bildsequenzen und eine hypnotische Soundkulisse. In der Zusammenführung entfaltet sich ein Magischer Realismus.
Aus der Ich-Perspektive, aber distanziert durch ein österreichisch gefärbtes Englisch, erzählt Wieland von den Verkleidungsabenteuern und Auswanderungsträumen eines Schulfreundes, die schließlich mit der Einweisung in eine psychiatrische Klinik und der Diagnose ›Schizophrenie‹ endeten. Die Folgen für den Ich-Erzähler sind die ›Abschiebung‹ zu einem ›Onkel‹ und die Verinnerlichung der kollektiven Mythologie seines Dorfes, das die Nachahmung von Kristall-Figuren als eine Bewältigungsstrategie für Trauer und Angstzustände versteht. Auf visueller Ebene fungieren manche Bilder als Dokumente, welche die Erzählung untermauern, andere illustrieren die Absurditäten des Alltags und wiederum andere sind Versuche, die bestehenden und empfundenen Machtverhältnisse konzeptuell aufzuarbeiten. Geleitet wird die vielschichtige Erzählung von einer grundsätzlichen Verwunderung darüber, wie wir hierhergekommen sind. Auf eine liebevolle und humorvolle Art dekonstruiert Wieland ein kindliches Universum und macht die verborgenen Ruinen der kollektiven Psyche sichtbar, die zwar geerbt sind, denen wir jedoch nicht ohnmächtig gegenüberstehen. Die Erinnerungen sind in Ink in Milk keine abgeschlossenen Erzählungen, sondern lebendige Geschichten, die sich entspinnen, neu zusammenfügen und uns zu uns selbst finden lassen. Die Projektion des Videos auf die Rückseite eines Schrankes versinnbildlicht die erste Ausgrenzungserfahrung des Ich-Erzählers durch eine Lehrerin, die eine Liste der ›Unangepassten‹ führte und mit perfiden Methoden bestrafte. Somit lässt Wieland uns das Bewusstwerden des eigenen Körpers physisch nachempfinden. »How we place our bodies in relation to each other is the start of politics«, ist eine von Wielands zentralen Aussagen in der Videoarbeit.
Am Ende zeigt Ink in Milk einen möglichen Ausweg auf, wie wir unser eigenes Narrativ schreiben und uns dem Zwang widersetzen können, uns in ein kollektives Narrativ einzuschreiben. Die Fantasiewelt lebt in einer normativen Gesellschaft weiter, so wie die ›tanzenden Tiere‹ in einer Mischung aus Tinte und Milch. (Ieva Akule)